Sich selbstständig zu machen, ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Doch was, wenn der Ernstfall eintritt und Sie tatsächlich Insolvenz anmelden müssen? Müssen Selbstständige zwangsläufig die Regelinsolvenz durchlaufen? Oder steht ihnen auch der Weg in die Privatinsolvenz offen?
Hier erfahren Sie, was Sie zur Privatinsolvenz bei Selbstständigkeit wissen müssen.
Das Wichtigste – kurz & knapp
- Selbstständige dürfen i.d.R. keine Privatinsolvenz beantragen, sondern müssen das Regelinsolvenzverfahren durchlaufen.
- Ausnahmen gelten für ehemals Selbstständige mit weniger als 20 Gläubigern, gegen die keine offenen Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen.
- Während der laufenden Privatinsolvenz dürfen Schuldner mit Zustimmung des Insolvenzverwalters eine neue Selbstständigkeit aufnehmen. Von den Einkünften ist dann der pfändbare Betrag abzuführen.
Voraussetzungen
In Deutschland existieren zwei unterschiedliche Arten der Insolvenz: die Regelinsolvenz und die Privatinsolvenz / Verbraucherinsolvenz. Rechtliche Grundlage für beide Verfahren bildet die Insolvenzordnung (InsO).
Juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften unterliegen der Antragspflicht: Unternehmen wie eine GmbH oder AG müssen Insolvenz anmelden, wenn sie zahlungsunfähig bzw. überschuldet sind oder die Zahlungsunfähigkeit droht (§ 15a InsO).
Für selbstständige Einzelpersonen kommt eine Insolvenz in Betracht, wenn sie zahlungsunfähig sind oder es in absehbarer Zeit sein werden (§§ 17, 18 InsO). In der Praxis bedeutet das: Besteht innerhalb von drei Wochen eine Liquiditätslücke von mindestens zehn Prozent, die in naher Zukunft nicht beglichen werden kann, können Selbstständige Insolvenz anmelden.
Bleibt die Frage, welches Insolvenzverfahren Selbstständige durchlaufen können. Für Unternehmen sowie Einzelpersonen, die aktuell selbstständig sind, lässt die Insolvenzordnung nur eine Option offen: das allgemeine Insolvenzverfahren, die Regelinsolvenz.
Ehemals Selbstständige dürfen unter gewissen Umständen auch einen Antrag auf ein vereinfachtes Verfahren (Privatinsolvenz) stellen. Die Voraussetzungen regelt § 304 InsO:
- Die Antragsteller haben maximal 19 Gläubiger.
- Es bestehen keine offenen Forderungen aus früheren Arbeitsverhältnissen.
Außerdem ist der Versuch einer außergerichtlichen Schuldenbereinigung vorgeschrieben. Erst wenn diese scheitert und nach §305 InsO bescheinigt wurde, kann ein Insolvenzantrag gestellt werden.
Privatinsolvenz – Vorteile und Nachteile
Anders als Unternehmen können selbstständige Einzelpersonen auch im Regelinsolvenzverfahren von der Restschuldbefreiung profitieren und so in einen neuen Lebensabschnitt ohne Schulden starten (§ 286 InsO).
Eine Privatinsolvenz bietet dennoch weitere Vorteile: Das Verfahren ist schneller und kostengünstiger als eine Regelinsolvenz. Die Restschuldbefreiung ist allerdings an gewisse Bedingungen geknüpft.
Ablauf der Privatinsolvenz für ehemals Selbstständige
Der Ablauf des Privatinsolvenzverfahrens für ehemals Selbstständige gleicht der Verbraucherinsolvenz für Privatpersonen. Zunächst stellen Schuldner einen Antrag vor dem zuständigen Amtsgericht. Das Gericht bestellt einen Insolvenzverwalter, der sich um die Aufteilung des pfändbaren Vermögens an die Gläubiger kümmert.
Sobald die Insolvenzmasse aufgeteilt ist, startet die sogenannte Wohlverhaltensphase. Im Privatinsolvenzverfahren dauert dieser Zeitraum drei Jahre. Innerhalb dieser drei Jahre hat der Schuldner gewisse Auflagen / Obliegenheiten zu erfüllen (§ 295 InsO):
- Er muss eine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben oder sich um eine solche bemühen.
- Er muss geerbtes oder geschenktes Vermögen zur Hälfte an den Insolvenzverwalter herausgeben.
- Jeder Wohnsitz- und Beschäftigungswechsel ist dem Insolvenzgericht mitzuteilen.
- Zahlungen zur Befriedigung der Gläubiger sind nur an den Insolvenzverwalter zu leisten.
Nach Ende der Wohlverhaltensperiode entscheidet das Insolvenzgericht, ob die Voraussetzungen zur Erteilung der Restschuldbefreiung erfüllt sind (§ 300 InsO).
Selbstständigkeit trotz Insolvenz – geht das?
Möchten Sie Privatinsolvenz anmelden, müssen Sie Ihre Selbstständigkeit zunächst aufgeben. Das deutsche Insolvenzrecht gestattet es Ihnen jedoch, während des laufenden Insolvenzverfahrens eine neue selbstständige Tätigkeit aufzunehmen – vorausgesetzt, der Insolvenzverwalter stimmt dem zu (§ 35 Abs. 2 InsO).
Der Insolvenzverwalter muss Sie innerhalb eines Monats über seine Entscheidung informieren (§ 35 Abs. 3 InsO). Sie wiederum müssen ein funktionierendes Geschäftsmodell nachweisen und glaubhaft machen, dass die Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit ausreichen, um Ihren Lebensunterhalt zu decken.
Durchlaufen Sie das Regelinsolvenzverfahren, dürfen Sie Ihre Selbstständigkeit mit Zustimmung des Insolvenzverwalters auch fortführen.
Festsetzung des pfändbaren Einkommens bei selbstständiger Tätigkeit
Selbstständige und Freiberufler erzielen kein festes Einkommen. Wie wird also der pfändbare Teil ihres Einkommens ermittelt? Zu diesem Zweck wird ein fiktives Einkommen angesetzt. Das bemisst sich an dem Einkommen, das Sie mittels einer angemessenen, unselbstständigen Beschäftigung erzielen würden.
Zur Berechnung herangezogen werden:
- Ihr Berufsabschluss
- Ihre Berufserfahrung
- Ihr Alter
- Geltende Tarifverträge
- Daten der Agentur für Arbeit
Achtung: Liegen Ihre Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit unter diesem fiktiven Einkommen und zahlen Sie daher zu wenig Geld an den Insolvenzverwalter, kann Ihnen die Restschuldbefreiung versagt werden.
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Oliver Schulz ist seit 2010 Rechtsanwalt und hat sich als Fachanwalt auf das Rechtsgebiet Insolvenzrecht spezialisiert. Mit seiner Kanzlei Schulz & Partner führt er seit 2012 die Schuldnerberatung Schulz, die in mehreren deutschen Städten ansässig ist und Schuldnern dabei hilft, ihre Schulden durch einen außergerichtlichen Vergleich, eine Regelinsolvenz oder eine Privatinsolvenz loszuwerden und finanziell neu durchzustarten. Er ist u.a. Mitglied im HAV (Hamburgischer Anwaltverein e.V.) und im Norddeutschen Insolvenzforum Hamburg e.V.. Als ausgewiesener Experte gibt er Interviews, z.B. bei RTL Direkt (zum Thema SchuldnerAtlas 2023). Außerdem ist er als Gastautor aktiv, z.B. auf Unternehmer.de.