(Stand: 07.10.2024) Die Privatinsolvenz bietet überschuldeten Verbrauchern die Möglichkeit, sich innerhalb von drei Jahren von ihren Schulden zu befreien. Das vereinfachte Insolvenzverfahren sollte man jedoch nur beantragen, wenn es keine anderen Wege mehr gibt.
Unser Ratgeber beinhaltet die wichtigsten Informationen, bietet einen Einstieg in das komplexe Themengebiet und kann Ihnen dabei helfen, die nächsten Schritte zum finanziellen Neustart einzuleiten.
Das Wichtigste – kurz & knapp
Voraussetzungen
Die Privatinsolvenz ist ein vereinfachtes Insolvenzverfahren für Verbraucher, das Sie durchlaufen können, wenn Sie …
Ist das nicht der Fall, gilt für Sie die Regelinsolvenz, das allgemeine Insolvenzverfahren in Deutschland.
Weitere Voraussetzungen für ein Privatinsolvenzverfahren:
Privatinsolvenz – typischer Ablauf
Ziehen Sie ein Verbraucherinsolvenzverfahren in Betracht? Dann sollten Sie sich professionelle Hilfe von Experten holen. Unsere Schuldnerberater unterstützen Sie dabei, Ihre Schulden loszuwerden. In vielen Fällen gelingt dies durch eine einvernehmlichen Einigung mit den Gläubigern. Ein Insolvenzverfahren würde sich dann erübrigen.
Das Verfahren der Privatinsolvenz gliedert sich in fünf Phasen:
1. Außergerichtliche Schuldenbereinigung
Bevor es zum Insolvenzverfahren kommen kann, muss ein außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren stattfinden. Stimmen ALLE Gläubiger dem Schuldenbereinigungsplan zu, vermeiden Sie die Insolvenz. Stattdessen zahlen Sie monatliche Raten an Ihre Gläubiger. Diese verzichten häufig auf einen Teil ihrer Forderungen (siehe Verhandlungsergebnisse).
2. Gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren
Ist der außergerichtliche Einigungsversuch gescheitert, benötigen Sie für Ihren Insolvenzantrag eine entsprechende Bescheinigung (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Das Insolvenzgericht prüft nun, ob es doch noch einen Vergleich herbeiführen kann. Das klappt jedoch sehr selten.
3. Insolvenzverfahren
In einem umfassenden Formular beantragen Sie u.a. die Restschuldbefreiung und müssen Ihr Vermögen und Ihre Schulden auflisten. Sofern die Verfahrenskosten durch die Insolvenzmasse gedeckt sind, wird das Verfahren eröffnet und veröffentlicht. Ein Insolvenzverwalter / Treuhänder verwertet das pfändbare Vermögen.
4. Wohlverhaltensphase (3 Jahre)
In den nächsten drei Jahren treten Sie den pfändbaren Teil Ihres Einkommens an den Treuhänder ab. Dieser Zeitraum wird auch als Abtretungsfrist bezeichnet. Darüber hinaus müssen Sie die Obliegenheiten beachten und sich redlich verhalten. Sie dürfen u.a. keine neuen Schulden machen, müssen sich um eine adäquate Arbeit bemühen und den Treuhänder über Änderungen (z.B. Umzug oder Jobwechsel) informieren.
5. Restschuldbefreiung
Wenn Sie alle Pflichten erfüllt haben, befreit Sie das Gericht von Ihren restlichen Schulden. Davon ausgenommen sind z.B. Schulden, die aus Straftaten entstanden sind. Ihr wirtschaftlicher Neustart kann beginnen!
Vorteile einer Privatinsolvenz
Nach einer Gesetzesänderung Ende 2020 dauern Insolvenzverfahren nur noch maximal drei Jahre. Das gilt für Privatinsolvenzverfahren und Regelinsolvenzverfahren. Vorher betrug die Höchstdauer sechs Jahre. Sie sind also schneller schuldenfrei und können finanziell neu durchstarten. Noch schneller geht es nur mit einem außergerichtlichen Vergleich oder einem Insolvenzplanverfahren.
Die Privatinsolvenz hat nicht nur aus finanzieller, sondern auch aus psychischer Sicht viele Vorteile. Waren Sie vorher dem Druck Ihrer Gläubiger und den Vollstreckungsversuchen von Gerichtsvollziehern ausgeliefert, können Sie nun Ihre Geschicke wieder weitestgehend selbst bestimmen. Da Partner, Familie und Freunde häufig mit leiden, werden auch sie entlastet.
Mit der Einleitung des Insolvenzverfahrens beginnt Ihre Entschuldung. Durch die festgelegten „Spielregeln“ ist von Anfang an klar, wann Sie Ihre Schulden abgetragen haben. Übrigens zahlen viele Schuldner vor dem Insolvenzverfahren oftmals mehr Geld an ihre Gläubiger, als sie es aus rechtlicher Sicht eigentlich müssten. Auch das ist nun vorbei.
Wenn das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, gilt der Pfändungsschutz. Ab sofort ist es Ihren Gläubigern verboten, eine Zwangsvollstreckung durchzuführen. So bleibt Ihr pfändungsfreies Einkommen unangetastet. Ohne Verbraucherinsolvenz dürften Ihre Gläubiger 30 Jahre lang bei Ihnen pfänden.
Welcher Betrag von Ihrem Nettoeinkommen gepfändet werden darf, richtet sich nach den Werten der Pfändungstabelle. Seit 2021 werden die Pfändungsfreigrenzen jährlich aktualisiert und an die Lebenshaltungskosten angepasst. Die aktuelle Pfändungstabelle 2024 / 2025 gilt vom 1. Juli 2024 bis zum 30. Juni 2025. Darin liegt der Basis-Pfändungsfreibetrag bei 1.491,75 Euro.
Damit Ihr Girokonto insolvenzfest ist, müssen Sie es vor dem Einreichen des Insolvenzantrags in ein Pfändungsschutzkonto (P-Konto) umwandeln. Der automatische Grundfreibetrag liegt derzeit bei 1.500,- Euro. Wenn z.B. Kindergeld auf Ihrem Konto eingeht oder Sie Unterhalt zahlen müssen, können Sie diesen Basisschutz mit einer P-Konto Bescheinigung erweitern.
TIPP: Mit unserem Pfändungsrechner können Sie (für alle Jahre ab 2002) schnell und einfach ausrechnen, wie hoch der pfändbare und unpfändbare Teil Ihres Einkommens ist.
Rechtsanwalt Oliver Schulz über die wichtigsten Vorteile und Nachteile einer Privatinsolvenz!
Vorteile im Überblick
Insbesondere die Tatsache, dass nach der Eröffnung des Verfahrens Lohnpfändungen / Gehaltspfändungen oder Kontopfändungen durch Gläubiger (und Gerichtsvollzieher) nicht mehr möglich sind, erleichtert das Leben.
Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass eine Privatinsolvenz gewöhnlich ohne größere Probleme durchlaufen wird. Wenn andere es schaffen, schaffen Sie das auch!
Nachteile einer Privatinsolvenz
Sie können die Insolvenz nicht vor Ihrem Arbeitgeber geheim halten. Schließlich zahlt er das pfändbare Einkommen an den Insolvenzverwalter.
Es gibt auch Schulden, die nicht unter die Restschuldbefreiung fallen. Dazu gehören Verbindlichkeiten aus vorsätzlich unerlaubter Handlung. Dementsprechend bleiben z.B. Schulden wegen Betrugs sowie Bußgelder und andere Strafgelder bestehen.
Das in Deutschland relativ langwierige Verfahren geht für den Verbraucher zudem mit Einschränkungen und Auflagen einher. Sämtliche Finanzen müssen offengelegt werden und das Vermögen wird verpfändet. Sie dürfen u.a. nicht vergessen, dem Verwalter Ihren Wohnorts- oder Arbeitsplatzwechsel mitzuteilen. Es wird auch erwartet, dass Sie sich um ein Einkommen bzw. einen Job bemühen.
Ein weiterer Nachteil der Privatinsolvenz ist die schlechte Bonität. Ein niedriger Schufa-Score sorgt für eine geringere Kreditwürdigkeit und erschwert z.B. die Aufnahme von Krediten und den Abschluss von Verträgen. Die gute Nachricht: Seit April 2023 speichert die Schufa Informationen über Privatinsolvenzen nur noch 6 Monate – bis dahin waren es 3 Jahre. Dementsprechend können Betroffene jetzt schneller am Wirtschaftsleben teilnehmen.
Zu guter Letzt könnten Sie es als Nachteil empfinden, dass jedes Insolvenzverfahren veröffentlicht wird. Seit 2002 kann jeder über die Website Insolvenzbekanntmachungen.de eine entsprechende Namensliste einsehen.
Nachteile im Überblick
Fazit
Wenn tatsächlich keine außergerichtliche Einigung mehr möglich ist, ist ein Insolvenzverfahren das „Licht am Ende des Tunnels“.
Der wichtigste Vorteil einer Privatinsolvenz ist der, dass Sie anschließend schuldenfrei sind. Sie können bei Null anfangen und haben wieder eine echte Perspektive. Nach drei Jahren – unabhängig von der Schuldensumme – haben Sie i.d.R. keine Schulden mehr.
Sie müssen keine Besuche vom Gerichtsvollzieher oder überraschende Pfändungen befürchten. Das Existenzminimum ist gesichert. Außerdem fällt es Ihnen wieder leichter, den Überblick über Ihre Finanzen zu behalten.
Da viele Nachteile auch ohne Insolvenzverfahren auftreten und die Gefahr besteht, dass die Situation unter finanziellen, psychischen und sozialen Gesichtspunkten noch weiter außer Kontrolle geraten kann, ist es bei hohen Schulden häufig die richtige Entscheidung, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und ggf. einen Insolvenzantrag zu stellen.
Die Privatinsolvenz kann auf jeden Fall ein finanzieller Rettungsring sein, insbesondere nach der generellen Verkürzung von Insolvenzverfahren auf maximal drei Jahre!
FAQ: 40 Fragen, 40 Antworten
Foto: GiZGRAPHICS / stock.adobe.com
Oliver Schulz ist seit 2010 Rechtsanwalt und hat sich als Fachanwalt auf das Rechtsgebiet Insolvenzrecht spezialisiert. Mit seiner Kanzlei Schulz & Partner führt er seit 2012 die Schuldnerberatung Schulz, die in mehreren deutschen Städten ansässig ist und Schuldnern dabei hilft, ihre Schulden durch einen außergerichtlichen Vergleich, eine Regelinsolvenz oder eine Privatinsolvenz loszuwerden und finanziell neu durchzustarten. Er ist u.a. Mitglied im HAV (Hamburgischer Anwaltverein e.V.) und im Norddeutschen Insolvenzforum Hamburg e.V.. Als ausgewiesener Experte gibt er Interviews, z.B. bei RTL Direkt (zum Thema SchuldnerAtlas 2023). Außerdem ist er als Gastautor aktiv, z.B. auf Unternehmer.de.