Die einst europaweit erfolgreiche Drogeriekette Schlecker machte vor einigen Jahren mit dem Prozess um ihre Pleite Schlagzeilen. Die Kinder des Firmengründers Anton Schlecker wurden 2019 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt – unter anderem wegen Insolvenzverschleppung.
Der Insolvenzverschleppung machen sich juristische Personen und Kapitalgesellschaften schuldig, die ihren Insolvenzantrag bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht oder verspätet stellen.
Hier erfahren Sie Wissenswertes über die Insolvenzverschleppung, u.a. zu möglichen Strafen.
Definition und rechtliche Grundlagen
Als Insolvenzverschleppung bezeichnet man die verspätete Stellung eines Insolvenzantrags. Laut Insolvenzordnung müssen bestimmte juristische Personen innerhalb einer vorgegebenen Frist einen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht stellen, wenn die Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erfüllt sind (§ 15a Abs. 1 InsO, Insolvenzantragspflicht).
Die Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sind ebenfalls in der Insolvenzordnung definiert:
- Zahlungsunfähigkeit liegt gemäß § 17 InsO vor, wenn Schuldner nicht in der Lage sind, ihre Zahlungspflichten zu erfüllen. Anzunehmen ist Zahlungsunfähigkeit etwa, wenn Schuldner ihre Zahlungen für Miete oder Gehälter einstellen. Es gilt die Faustregel: Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die Betriebe mindestens drei Wochen lang nicht imstande sind, wenigstens zehn Prozent ihrer fälligen Schulden zu zahlen.
- Überschuldung besteht gemäß § 19 InsO, wenn das Vermögen eines Schuldners nicht ausreicht, um bestehende Verbindlichkeiten zu decken und die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nicht wahrscheinlich ist.
Der Insolvenzantrag muss spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gestellt werden. Im Falle einer Überschuldung ist der Antrag innerhalb von sechs Wochen beim zuständigen Insolvenzgericht einzureichen.
Die Missachtung der Insolvenzantragspflicht stellt einen Straftatbestand dar und wird streng geahndet. Um einer Insolvenzverschleppung vorzubeugen und eine mögliche Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung schnell zu erkennen, sollten Geschäftsführer und andere Verantwortliche daher stets den Überblick über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens behalten.
Achtung: Die genannten Fristen bedeuten nicht, dass sich Unternehmen bis zur Insolvenzanmeldung immer drei Wochen Zeit lassen können. Vielmehr sollte der Insolvenzantrag nach Eintritt der Insolvenzgründe möglichst sofort und ohne schuldhaftes Zögern gestellt werden – spätestens aber nach drei Wochen.
Für wen gilt die Insolvenzantragspflicht?
Der § 15a Abs. 1 der Insolvenzordnung legt fest, welche Personengruppen der Insolvenzantragspflicht unterliegen:
- Juristische Personen wie Kapitalgesellschaften, zum Beispiel GmbH, Aktiengesellschaften (AG), haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaften (UG), Stiftungen und wirtschaftliche Vereine.
- Personengesellschaften, deren haftender Gesellschafter keine natürliche Person ist, zum Beispiel GmbH & Co. KG.
- Ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz in Deutschland.
Für wen gilt sie nicht?
Die folgenden Personengruppen sind nicht dazu verpflichtet, innerhalb einer gewissen Frist einen Insolvenzantrag zu stellen und können sich nicht der Insolvenzverschleppung schuldig machen:
- Personengesellschaften mit natürlichen Personen als persönlich haftende Gesellschafter, zum Beispiel Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR), offene Handelsgesellschaften (OHG), Kapitalgesellschaften (KG), eingetragene Kaufleute (e.K.).
- Natürliche Personen wie Verbraucher, Einzelselbstständige und Freiberufler.
Insolvenzverschleppung – wer haftet?
Die Pflicht, den Insolvenzantrag zu stellen, sowie die Haftung obliegen dem Geschäftsführer des jeweiligen Unternehmens bzw. den Vorständen von Aktiengesellschaften, Vereinen und Stiftungen. Anders als Geschäftsführer müssen die Vorstände von Vereinen und Stiftungen bei einer Insolvenzverschleppung keine strafrechtlichen Konsequenzen befürchten, stehen aber dennoch in der Haftpflicht (§ 15a Abs. 7 InsO).
Bei führungslosen Unternehmen kann die Antragspflicht und damit auch die Haftung auf einzelne Gesellschafter bzw. auf die Mitglieder des Aufsichtsrats übertragen werden (§ 15a Abs. 3 InsO).
Wichtig zu wissen: Die Insolvenzantragspflicht erlischt nicht durch einen Gläubigerantrag oder wenn der Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt wird.
Wichtig zu wissen: Die Insolvenzantragspflicht erlischt nicht durch einen Gläubigerantrag oder wenn der Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt wird.
Mögliche Strafen und Folgen einer Insolvenzverschleppung
Das Insolvenzstrafrecht unterscheidet zwei Arten der Insolvenzverschleppung:
- Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung erfolgt wissentlich, das bedeutet, die Verantwortlichen verzögern die Antragsstellung, obwohl sie bereits die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Unternehmens festgestellt haben.
- Die fahrlässige Insolvenzverschleppung liegt zum Beispiel vor, wenn die Verantwortlichen ihre Sorgfaltspflicht verletzen und nicht genau über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens informiert sind.
Beide Arten der Tatbegehung sind strafbar, vorsätzliches Handeln wirkt sich jedoch auf die Höhe der Strafe aus. Das Strafmaß wird für jeden Fall individuell durch das Strafgericht festgelegt. Den Rahmen für eine Strafe gibt abermals § 15a InsO vor:
- Bei vorsätzlicher Insolvenzverschleppung müssen Betroffene mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen (§ 15a Abs. 4 InsO).
- Eine fahrlässige Insolvenzverschleppung wird mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet (§ 15a Abs. 5 InsO).
Bei Geldstrafen von mehr als 90 Tagessätzen erfolgt ein Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis. Die Betroffenen gelten damit als vorbestraft.
Für die haftenden Geschäftsführer zieht die Insolvenzverschleppung zudem zivilrechtliche Maßnahmen nach sich. Nach einer Verurteilung aufgrund von vorsätzlicher Insolvenzverschleppung droht etwa ein fünfjähriges Verbot, als Geschäftsführer tätig zu werden.
Zudem haften die Verantwortlichen mit ihrem Privatvermögen für Handlungen, die das Unternehmensvermögen und damit die Insolvenzmasse verringern sowie für Schäden, die dem Finanzamt, der Sozialversicherung und neuen Gläubigern verursacht wurden. Neue Gläubiger sind Gläubiger, deren Forderungen erst nach Insolvenzreife entstanden sind.
Gewerbetreibende können bei Insolvenzverschleppung unter Umständen ihre Gewerbezulassung verlieren.
Drohende Insolvenzverschleppung: So reagieren Sie richtig
Da bei einer Insolvenzverschleppung gravierende Strafen drohen, sollten es Unternehmen gar nicht erst so weit kommen lassen. Insbesondere für die haftenden Geschäftsführer ist es wichtig, die Bilanzen des Unternehmens stets im Blick zu behalten.
Treten Zahlungsschwierigkeiten auf oder liegen bereits Vollstreckungsandrohungen vor, nehmen Sie am besten eine insolvenzrechtliche Beratung in Anspruch und suchen gemeinsam nach Lösungen. Eventuell lassen sich Zahlungsaufschübe oder Ratenzahlungen vereinbaren, Vermögenswerte verkaufen oder neu bewerten.
Dokumentieren Sie alle getroffenen Maßnahmen nachvollziehbar, um sie gegenüber Gerichtsvollziehern und der Staatsanwaltschaft als Beleg nutzen zu können.
Insolvenzverfahren kann auch eine Chance sein
Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um die finanzielle Situation des Unternehmens zu verbessern, stellen Sie rechtzeitig den Insolvenzantrag. Die Regelinsolvenz bedeutet nicht zwangsläufig das Ende des Unternehmens, sondern kann zu dessen Rettung beitragen. Im laufenden Insolvenzverfahren werden Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt. Das verringert den wirtschaftlichen Druck und Betriebe sind in der Lage, über die zukünftige Entwicklung zu entscheiden.
Professionelle Unterstützung durch Fachanwälte
Liegt der Verdacht der Insolvenzverschleppung im Raum oder wurde bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, suchen Sie sich so schnell wie möglich anwaltliche Unterstützung. Ihr Anwalt sollte neben strafrechtlichen Kenntnissen auch Kenntnisse in der Unternehmensführung und im Insolvenzrecht mitbringen.
Aufgrund der drastischen Folgen für Geschäftsführer unterliegen viele der Versuchung, das Unternehmen zu verkaufen oder einen Strohgeschäftsführer einzusetzen. Davon ist aber dringend abzuraten. Für den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung ist nämlich entscheidend, zu welchem Zeitpunkt die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Später getroffene Maßnahmen entbinden den verantwortlichen Geschäftsführer nicht von der Haftung.
FAQ
Wann liegt eine Insolvenzverschleppung vor?
Sie liegt vor, wenn Unternehmen nicht sofort, spätestens aber innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung einen Insolvenzantrag stellen (§ 15a Abs. 1 InsO).
Ist Insolvenzverschleppung strafbar?
Ja, der verspätete Insolvenzantrag ist Teil des Insolvenzstrafrechts und stellt einen Straftatbestand dar.
Welche Strafe gibt es bei Insolvenzverschleppung?
Vorsätzliche Insolvenzverschleppung wird mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet (§ 15a Abs. 4 InsO), fahrlässige Insolvenzverschleppung mit einer Geldstrafe oder maximal einjährigen Freiheitsstrafe (§ 15a Abs. 5 InsO).
Was ist Beihilfe zur Insolvenzverschleppung?
Der Beihilfe machen sich Berater strafbar, die trotz Kenntnis der Insolvenzreife auch nach Ablauf der Antragspflicht an Maßnahmen zur Sanierung des Unternehmens mitwirken.
Kann ich meinen Arbeitgeber wegen Insolvenzverschleppung anzeigen?
Einen begründeten Verdacht auf Insolvenzverschleppung Ihres Arbeitgebers können Sie bei der Staatsanwaltschaft melden. Sie sollten diesen Schritt aber nur unternehmen, wenn gewichtige Indizien vorliegen. Stellt sich heraus, dass Sie falsche Angaben gemacht haben, kann Ihr Arbeitgeber Sie seinerseits anzeigen.
Wann verjährt eine Insolvenzverschleppung?
Die Strafverfolgung verjährt nach fünf Jahren. Für aus der Insolvenzverschleppung entstandenen Schadensersatzpflichten dauert die Verjährung drei Jahre.
Was tun bei Verdacht auf Insolvenzverschleppung?
Besteht der Verdacht auf Insolvenzverschleppung, sollten Sie sich schnellstmöglich anwaltliche Unterstützung suchen, idealerweise durch einen Anwalt, der sowohl im Straf- und Unternehmensrecht als auch im Insolvenzrecht bewandert ist.
Wer ermittelt bei Insolvenzverschleppung?
Die Staatsanwaltschaft.
Oliver Schulz ist seit 2010 Rechtsanwalt und hat sich als Fachanwalt auf das Rechtsgebiet Insolvenzrecht spezialisiert. Mit seiner Kanzlei Schulz & Partner führt er seit 2012 die Schuldnerberatung Schulz, die in mehreren deutschen Städten ansässig ist und Schuldnern dabei hilft, ihre Schulden durch einen außergerichtlichen Vergleich, eine Regelinsolvenz oder eine Privatinsolvenz loszuwerden und finanziell neu durchzustarten. Er ist u.a. Mitglied im HAV (Hamburgischer Anwaltverein e.V.) und im Norddeutschen Insolvenzforum Hamburg e.V.. Als ausgewiesener Experte gibt er Interviews, z.B. bei RTL Direkt (zum Thema SchuldnerAtlas 2023). Außerdem ist er als Gastautor aktiv, z.B. auf Unternehmer.de.