Der SchuldnerAtlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform ist ein verlässlicher Gradmesser für den finanziellen Zustand deutscher Privathaushalte. Angesichts der vielen wirtschaftlichen Probleme, die in diesem Jahr coronabedingt zu verzeichnen sind, hätten viele mit einer deutlich wachsenden Zahl an Überschuldungen gerechnet. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Das ARD-Morgenmagazin gibt in einem kurzen Einspieler eine Vorschau auf den SchuldnerAtlas 2020, der heute (10.11.2020) in einer Video-Präsentation vorgestellt werden soll. Und darin heißt es, dass die Zahl der überschuldeten Personen gesunken ist. Aus den aktuellen Forschungs- und Studienergebnissen lässt sich jedoch ableiten, dass es sich um die „Ruhe vor dem Sturm“ handelt.
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6,85 Millionen Privatpersonen gelten als überschuldet
Von einer Überschuldung spricht man, wenn ein Verbraucher seinen Zahlungsverpflichtungen über einen längeren Zeitraum mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nachkommen kann. Das betrifft nach Einschätzung der Experten aktuell 6,85 Millionen Privatpersonen (oder 3,42 Millionen private Haushalte), wobei der Anteil der Frauen mit ca. 2,69 Millionen deutlich geringer ist als der der Männer mit ca. 4,17 Millionen.
Die Überschuldungsquote fiel damit im Vergleich zum Vorjahr um 69.000 Fälle von 10 % auf 9,87 %. Erfreulich ist, dass die Zahl der „harten“ Überschuldungsfälle um 188.000 Fälle (minus 4,7 %) abgenommen hat. Bei Fällen mit harten Negativmerkmalen handelt es sich um juristisch relevante Sachverhalte, z.B. eine Privatinsolvenz. Die „weichen“ Fälle stiegen jedoch hingegen um 118.000, also 4,1 %.
Überschuldung bei Personen ab 50 steigt
Die Überschuldung bei Älteren nimmt enorm zu. Das ist eine weitere Erkenntnis aus dem SchuldnerAtlas 2020. Jüngere Menschen sind im Durchschnitt mit 7.000,- EUR verschuldet. Personen ab 50 Jahren hingegen mit 43.600,- EUR.
Zwar sind die Überschuldungsfälle in der Altersgruppe 30 bis 39 Jahre mit 1,84 Millionen am häufigsten, aber die Altersgruppen ab 50 Jahre holen besorgniserregend auf:
- 50 – 59 Jahre: 1,3 Millionen überschuldete Personen (plus 5,9 %)
- 60 – 69 Jahre: 730.000 überschuldete Personen (plus 13 %)
- Über 70 Jahre: 470.000 überschuldete Personen (plus 23,3 %)
Die Ursachen für diese negative Entwicklung liegen u.a. in hohen Mieten, niedrigen Renten und einer Steuerpflicht bei vielen Renten. Viele Rentner müssen weiterhin arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Viele tun dies im Niedriglohnsektor. Hier bestehen die Probleme darin, dass die Arbeit vielerorts sehr hart ist, die Gesundheit beeinträchtigt und die Löhne sehr gering sind.
Hier zeigt sich, dass das Thema Altersarmut noch nicht in ausreichendem Maße bekämpft wird. Dabei war dieser Trend bereits im SchuldnerAtlas 2019 klar erkennbar.
SchuldnerAtlas 2020: Zuspitzung der Lage in 2021 erwartet
Bislang haben staatliche Hilfsprogramme, wie z.B. die Kurzarbeit, dafür gesorgt, dass die Situation am Arbeitsmarkt noch relativ stabil ist. Da wir uns noch länger in einer Ausnahmesituation befinden werden, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Arbeitslosenzahlen in den nächsten Monaten steigen werden. Und Arbeitslosigkeit ist bekanntermaßen einer der Hauptgründe für eine Verschuldung bzw. Überschuldung.
Darüber hinaus achten die meisten Menschen in Krisenzeiten verstärkt darauf, wofür sie Geld ausgeben. Auch das sorgt dafür, dass die Überschuldung sich NOCH in Grenzen hält. Hier muss man aber anmerken, dass sich nur Gutverdienende diese Strategie leisten können. Wer eh schon am Existenzminimum lebt, wird von der Pandemie deutlich härter getroffen. Da keine Ersparnisse vorhanden sind, reicht ein Schicksalsschlag aus, um in der Überschuldung zu landen.
Zwar soll es bald einen Impfstoff geben, dennoch wird die Pandemie nicht auf einen Schlag vorbei sein. Experten rechnen damit, dass die Menschheit langfristig von Corona betroffen sein wird. Dementsprechend ist es fraglich, wann und in welchem Umfang Branchen wieder in ausreichendem Maße auf eigenen Füßen stehen können. Besonders betroffen sind bekanntermaßen u.a. der Tourismus, die Gastronomie, der Flugverkehr und der Kultur- und Veranstaltungsbereich.
Dass sich die Situation in vielen privaten Haushalten verschärft, erkennt man auch an der steigenden Nachfrage nach professionellen Schuldnerberatungen. In öffentlichen Beratungsstellen steigen die Wartezeiten quasi von Tag zu Tag.
Vorschläge für Maßnahmen gegen Überschuldung
Wie aus der obigen Grafik „Überschuldungsauslöser“ deutlich wird, basieren viele Fälle auf einer unwirtschaftlichen Haushaltsführung. Hier sollte jeder Verbraucher schauen, dass er sich einen besseren Überblick über seine Finanzen verschafft, z.B. mit einem Haushaltsbuch.
Darüber hinaus gibt es einige Themen, die den Weg in die Überschuldung beschleunigen. Zu nennen wären überzogene Inkassogebühren, hohe Dispozinsen und eine teilweise zu einfache Kreditvergaben. Hier müsste die Politik schauen, ob es nicht sinnvoll wäre, neue Regelungen einzuführen.
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Oliver Schulz ist seit 2010 Rechtsanwalt und hat sich als Fachanwalt auf das Rechtsgebiet Insolvenzrecht spezialisiert. Mit seiner Kanzlei Schulz & Partner führt er seit 2012 die Schuldnerberatung Schulz, die in mehreren deutschen Städten ansässig ist und Schuldnern dabei hilft, ihre Schulden durch einen außergerichtlichen Vergleich, eine Regelinsolvenz oder eine Privatinsolvenz loszuwerden und finanziell neu durchzustarten. Er ist u.a. Mitglied im HAV (Hamburgischer Anwaltverein e.V.) und im Norddeutschen Insolvenzforum Hamburg e.V.. Als ausgewiesener Experte gibt er Interviews, z.B. bei RTL Direkt (zum Thema SchuldnerAtlas 2023). Außerdem ist er als Gastautor aktiv, z.B. auf Unternehmer.de.