Einen Kredit aufnehmen, eine neue Wohnung suchen oder einfach nur einen neuen Handyvertrag abschließen – bei Alltagsgeschäften holen Händler und Banken Auskünfte zur Kreditwürdigkeit ihrer Kunden bei der Schufa ein.
Die Wirtschaftsauskunftei stellt einen sogenannten Score-Wert über die Bonität der Verbraucher zur Verfügung. Nach Ansicht eines Gutachters am Europäischen Gerichtshof (EuGH) verstößt das Scoring gegen europäisches Recht.
Verbotene Entscheidung auf Basis automatisch verarbeiteter Daten
Hintergrund für das Verfahren vor dem EuGH bilden mehrere Fälle aus Deutschland. Im ersten Fall wurde einem Verbraucher die Kreditaufnahme verwehrt. Der Betroffene forderte die Schufa daraufhin auf, einen bestimmten Eintrag zu löschen und ihm Zugang zu seinen Daten zu gewähren. Von der Schufa erhielt er jedoch nur seinen Score-Wert und allgemeine Informationen zur Berechnung.
Der Betroffene legte vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden Klage gegen die Schufa ein. Das Verwaltungsgericht reichte den Fall an den EuGH weiter, um grundsätzlich klären zu lassen, ob der Schufa-Score mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DGVO) vereinbar ist. Die DGVO schreibt vor, dass Entscheidungen mit rechtlicher Wirkung für Betroffene nicht allein auf automatisierter Datenverarbeitung basieren dürfen.
Der EuGH-Generalanwalt Priit Pikamäe befand nun, dass es sich beim automatisiert erstellten Schufa Score-Wert um eine solche verbotene Entscheidung handele. Das sei auch dann noch gültig, wenn die abschließende Entscheidung über die Kreditvergabe durch einen Dritten, etwa eine Bank, getroffen wird.
Ebenfalls rechtswidrig: Speichern der Restschuldbefreiung für drei Jahre
In einem zweiten Fall ging es um die Löschung relevanter Daten aus dem Schufa-Verzeichnis, im Speziellen um die Restschuldbefreiung in der Verbraucherinsolvenz. Nach Ablauf einer Wohlverhaltensperiode erhalten Privatpersonen die Möglichkeit, sich von ihren Schulden zu befreien, selbst wenn diese nicht vollständig zurückgezahlt sind.
Die Insolvenzgerichte veröffentlichen Informationen zu Verbraucherinsolvenzen, löschen diese aber nach einem halben Jahr. Die Schufa hält derartige Einträge jedoch für bis zu drei Jahre nach erwirkter Restschuldbefreiung aufrecht.
Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts verstößt auch dieses Vorgehen gegen geltendes Recht. Die Restschuldbefreiung soll Verbrauchern die Chance geben, sich wieder am Wirtschaftsleben zu beteiligen. Die lange Datenvorhaltung der Schufa verhindere dies aber. Dem Bundesgerichtshof liegt derzeit ein ähnlicher Fall zur Prüfung vor.
Ein endgültiges Urteil in diesen Fällen wird in einigen Monaten erwartet. Das Gutachten des Generalanwalts ist für die Richter nicht bindend, oft folgen sie ihm aber.
Der Schufa Score: So wird er berechnet
Der Schufa Bonitäts-Score hat Auswirkungen auf viele wirtschaftliche Entscheidungen im Leben von Privatpersonen – doch wie berechnet er sich eigentlich?
Grundsätzlich bedeutet das Scoring, dass aus dem Kauf- und Rückzahlungsverhalten in der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft getroffen werden. Unternehmen und Banken haben ein verständliches Interesse daran, das Risiko eines Zahlungsausfalls zu minimieren. Der Schufa Score gibt ihnen Auskunft darüber, wie zuverlässig Privatpersonen ihren Zahlungen nachkommen.
Die Schufa stellt verschiedene Score-Werte bereit. Informiert sich ein Unternehmen über die Zahlungsfähigkeit eines Kunden, erhält es den sogenannten Branchenscore für den Handel. Banken erhalten den Bankenscore, der Auskunft über die Kreditwürdigkeit gibt. Wie genau sich der Score berechnet, darf die Schufa laut eines Bundesgerichtshof-Urteils geheim halten.
Bekannt ist, dass die Schufa bei der Berechnung verschiedene Faktoren berücksichtigt, zum Beispiel, über wie viele Girokonten der Betroffene verfügt, wie viele Kreditkarten er besitzt, wie pünktlich er bestehende Kredite und offene Rechnungen bezahlt und dergleichen mehr.
Weiterhin fließen sogenannte Negativmerkmale in die Berechnung ein:
- nicht bezahlte Kreditraten und Rechnung
- gekündigte Kredite und Girokonten mit Dispokredit mit nicht bezahlten, ausstehenden Beträgen
- titulierte Forderungen/ Vollstreckungsbescheide
- Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung sowie Haftbefehl zur Erzwingung einer solchen Abgabe
- Informationen aus amtlichen Schuldnerverzeichnissen und Insolvenzbekanntmachungen
Kritik am Schufa Score
Das EuGH-Verfahren ist nicht das erste Mal, dass der Schufa Score in der Kritik steht. Deutschlands größte Auskunftei im Verbraucherbereich steht in dem Ruf, bei der Berechnung des Scores wenig transparent vorzugehen. Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke bezeichnete das Zustandekommen des Schufa Scores als „Black Box“.
Eine Recherche des Magazins Spiegel und des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 2018 fand heraus, dass die Schufa viele Menschen zum finanziellen Risikofall erklärt, die sich überhaupt kein Fehlverhalten geleistet haben. In manchen Fällen reiche bereits ein schlechter Ruf des Wohnorts aus, damit Kredite abgelehnt werden. So hat es etwa Dirk Ulbricht vom gemeinnützigen Institut für Finanzdienstleistungen selbst erlebt. Seiner Ansicht nach erhebt die Schufa zu wenige Daten, um die finanzielle Lage von Privatpersonen zuverlässig einzuschätzen. Am Ende würden Entscheidungen aufgrund der Postleitzahl getroffen.
Um dem Kritikpunkt der Intransparenz entgegenzuwirken, hat die Schufa im Herbst 2022 einen sogenannten Score-Simulator veröffentlicht. Mithilfe dieser Internet-Anwendung sollen Verbraucher besser nachvollziehen können, welche Faktoren in die Berechnung des Scores einfließen. Ihren tatsächlichen Score erhalten Nutzer am Ende jedoch nicht, lediglich eine grobe Einschätzung. Das liegt daran, dass die Simulation nur sieben der für den Bankenscore ausschlaggebenden 17 Merkmale abfragt.
Zudem bleibt der Kritikpunkt an der langen Datenvorhaltung offen. Auch aus Sicht der Schuldnerberatung wäre es sinnvoll, wenn Schufa-Einträge zu Insolvenzverfahren früher gelöscht würden, damit schuldenfreie Verbraucher wieder ohne Einschränkungen am wirtschaftlichen Leben teilhaben können.
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Oliver Schulz ist seit 2010 Rechtsanwalt und hat sich als Fachanwalt auf das Rechtsgebiet Insolvenzrecht spezialisiert. Mit seiner Kanzlei Schulz & Partner führt er seit 2012 die Schuldnerberatung Schulz, die in mehreren deutschen Städten ansässig ist und Schuldnern dabei hilft, ihre Schulden durch einen außergerichtlichen Vergleich, eine Regelinsolvenz oder eine Privatinsolvenz loszuwerden und finanziell neu durchzustarten. Er ist u.a. Mitglied im HAV (Hamburgischer Anwaltverein e.V.) und im Norddeutschen Insolvenzforum Hamburg e.V.. Als ausgewiesener Experte gibt er Interviews, z.B. bei RTL Direkt (zum Thema SchuldnerAtlas 2023). Außerdem ist er als Gastautor aktiv, z.B. auf Unternehmer.de.