Fortführungsprognose nur noch für 4 Monate!?

Fortführungsprognose nur noch für 4 Monate!?

Steigende Energie- und Rohstoffpreise belasten die deutschen Unternehmen. Vor allem das Handwerk ist betroffen. Konzerne wie der Toilettenpapierhersteller Hakle und der Schuhhändler Görtz haben bereits Insolvenz angemeldet. Um eine mögliche Insolvenzwelle zu verhindern, plant die Bundesregierung, die Fortführungsprognose auf vier Monate zu verkürzen.

Belastungen für Unternehmen steigen

Wie das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) mitteilt, ist die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland derzeit noch stabil. Das Insolvenzgeschehen zeige sich „erfreulich robust„. Doch die Belastungen für Unternehmen nehmen zu. Eine aktuelle Studie des Industrieverbands BDI zeigt, dass vor allem mittelständische Unternehmen mit den hohen Energie- und Rohstoffkosten zu kämpfen haben. Darüber hinaus müssen Betriebe die im Oktober anstehende Erhöhung des Mindestlohns auf 12,- Euro sowie die von der Europäischen Zentralbank (EZB) eingeleitete Zinswende zu verkraften.

Um einer befürchteten Insolvenzwelle bei Unternehmen zuvorzukommen, plant die Bundesregierung eine Änderung des Insolvenzrechts. So soll der Zeitraum der Fortführungsprognose auf vier Monate verkürzt werden.

Fortführungsprognose oder Fortbestehensprognose? Die Begriffe Fortführungsprognose und Fortbestehensprognose werden umgangssprachlich häufig gleichgesetzt. Tatsächlich bezieht sich die Fortführungsprognose auf einen handelsrechtlichen Vorgang: Gemäß Handelsgesetzbuch müssen bilanzierungspflichtige Kaufleute prüfen, ob der Unternehmensfortführung rechtliche oder tatsächliche Gegebenheiten entgegenstehen (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB). Hat das Unternehmen in der Vergangenheit nachhaltig Gewinne erzielt, kann leicht auf finanzielle Mittel zurückgreifen und es droht keine finanzielle Überschuldung, liegt eine implizite positive Fortführungsprognose vor. Ist eines dieser Kriterien zweifelhaft, muss eine explizite handelsrechtliche Fortführungsprognose erstellt werden.

Die Fortbestehensprognose dient dazu, festzustellen, ob ein Unternehmen überschuldet ist. Geschäftsleiter sind dazu verpflichtet, die finanzielle Situation des Unternehmens im Auge zu behalten. In Krisenzeiten müssen sie prüfen, ob eventuell Insolvenzantragspflicht besteht (§ 15a Insolvenzordnung).

Die Fortbestehensprognose ist der erste Schritt der Überschuldungsprüfung. Sie fällt positiv aus, wenn die geplanten Einzahlungen über den Prognosezeitraum hinweg die geplanten Auszahlungen decken. Bei positiver Prognose kann das Unternehmen saniert werden, bei negativer Prognose ist ein Antrag auf Firmeninsolvenz zu stellen.

Fortführungsprognose für vier statt zwölf Monate

Verkürzt werden soll nun konkret der Prognosezeitraum bei der Überschuldungsprüfung. Aktuell gilt ein Unternehmen als überschuldet, wenn sein Fortbestand über einen Zeitraum von zwölf Monaten nicht mehr als „überwiegend wahrscheinlich“ gilt. Spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung ist ein Insolvenzantrag zu stellen. Die Verzögerung des Insolvenzantrags gilt als Insolvenzverschleppung und ist strafbar.

Den Zeitraum der Fortführungsprognose will die Regierung auf vier Monate herabsetzen. Die derzeitigen Marktverhältnisse machen es auch für gesunde Unternehmen schwierig, Prognosen für einen längeren Zeitraum aufzustellen, so die Begründung.

Kürzerer Prognosezeitraum soll Insolvenzwelle verhindern

In der Praxis bedeutet das: Erscheint das Fortbestehen eines Unternehmens über vier Monate hinweg wahrscheinlich, muss kein Insolvenzantrag gestellt werden. Profitieren können davon vor allem Unternehmen, die im Kern gesund sind und die auch unter den veränderten Marktbedingungen überleben können. Die Änderung des Insolvenzrechts soll diesen Unternehmen Zeit geben, ihre Geschäftsmodelle auf die neuen Marktgegebenheiten anzupassen. Für bereits zahlungsunfähige Betriebe gilt die neue Regelung jedoch nicht.

Die Anpassung des Insolvenzrechts ist bereits Bestandteil des geplanten dritten Entlastungspakets der Bundesregierung und soll nun zügig umgesetzt werden. Die Bundesregierung folgt damit einer Forderung der Gesellschaft für Restrukturierung (Turnaround Management Association, TMA). In einem offenen Brief an Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatten TMA-Vorstandsmitglieder ursprünglich vorgeschlagen, den Zeitraum der Fortführungsprognose auf drei Monate zu verkürzen.

Handwerk befürchtet stille Betriebsaufgaben

Ist der Insolvenzantrag erst einmal gestellt, bedeutet das für viele Unternehmen die Auflösung. Genau das soll mit der Verkürzung der Fortführungsprognose verhindert werden.

Insolvenzen drohen vor allem im Handwerk. Wie der Branchenverband ZDH mitteilt, sei die aktuelle finanzielle Lage der Unternehmen noch einmal deutlich schlechter als in den Hochphasen der Corona-Pandemie. Aufgrund der enorm gestiegenen Energiepreise stünden viele Betriebe kurz davor, ihre Produktion einzustellen.

Eine drohende Insolvenzwelle stellt jedoch nicht die einzige Gefahr für die deutsche Wirtschaft dar. Insbesondere kleine und mittelständische Betriebe könnten sich dazu entscheiden, einfach still aufzugeben und ihre Geschäfte ohne Insolvenzverfahren zu schließen. Der ZDH fordert daher vom Staat, von der Energiekrise besonders betroffene Betriebe mit Härtefallhilfen zu unterstützen.

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Foto: Andrey Popov / stock.adobe.com

Schuldnerberatung Schulz: Oliver Schulz (Rechtsanwalt / Fachanwalt für Insolvenzrecht)
Oliver Schulz

Oliver Schulz ist seit 2010 Rechtsanwalt und hat sich als Fachanwalt auf das Rechtsgebiet Insolvenzrecht spezialisiert. Mit seiner Kanzlei Schulz & Partner führt er seit 2012 die Schuldnerberatung Schulz, die in mehreren deutschen Städten ansässig ist und Schuldnern dabei hilft, ihre Schulden durch einen außergerichtlichen Vergleich, eine Regelinsolvenz oder eine Privatinsolvenz loszuwerden und finanziell neu durchzustarten. Er ist u.a. Mitglied im HAV (Hamburgischer Anwaltverein e.V.) und im Norddeutschen Insolvenzforum Hamburg e.V.. Als ausgewiesener Experte gibt er Interviews, z.B. bei RTL Direkt (zum Thema SchuldnerAtlas 2023). Außerdem ist er als Gastautor aktiv, z.B. auf Unternehmer.de.

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