Laut Angaben der Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel haben 31.821 Personen eine Privatinsolvenz angemeldet. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine deutliche Steigerung um 56,5 %. Ausschlaggebend für diese Entwicklung ist laut Experten (noch) nicht die Corona-Pandemie. Die eigentlich für das Frühjahr erwartete Insolvenzwelle wird im zweiten Halbjahr 2021 erwartet. Vielmehr liegt die Ursache in einer Ende 2020 beschlossenen Gesetzesreform, die die maximale Dauer von Insolvenzverfahren von sechs auf drei Jahre begrenzt.
Da das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auch für Insolvenzverfahren ab dem 1. Oktober 2020 diese Dauer vorsieht, haben viele Schuldner mit ihrem Insolvenzantrag noch bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung gewartet. Für überschuldete Privatpersonen hat die Reform den Vorteil, dass sie schneller schuldenfrei sind und früher im vollen Umfang am Wirtschaftsleben teilnehmen können.
Prognose für das Gesamtjahr 2021: bis zu 110.000 Privatinsolvenzen
Seit 2010 ist die Zahl der Verbraucher, die eine Privatinsolvenz angemeldet haben, stetig gesunken. Im Jahr 2020 wurden 56.324 vereinfachte Insolvenzverfahren gezählt. Für das ganze Jahr 2021 rechnet Crifbürgel mit einem gewaltigen Sprung auf bis zu 110.000 Privatpleiten. Das wäre in etwa das Niveau, das Deutschland letztmalig im Jahr 2014 erreicht hat.
Auslöser für die Geldsorgen der Menschen sind neben den negativen Folgen der Pandemie weiterhin Arbeitslosigkeit, Trennung / Scheidung, Krankheiten, Unfälle, unwirtschaftliche Haushaltsführung, gescheiterte Selbständigkeit oder längerfristiges Niedrigeinkommen. Vom letzten Punkt sind häufig Rentner betroffen, sodass immer mehr Senioren in Altersarmut leben.
Viele Insolvenzverfahren auch in Norddeutschland
Im Jahresvergleich schneiden die norddeutschen Bundesländer eher schlecht ab. Mecklenburg-Vorpommern verzeichnete einen Zuwachs um 86,7 % und Hamburg um 77,5 %. Schleswig-Holstein liegt mit einem Anstieg um 45% unter dem bundesweiten Durchschnitt.
Zieht man eine weitere Statistik zurate, bestätigt sich dieser Trend. In Bremen gab es im ersten Quartal 2021 76 Privatinsolvenzen pro 100.000 Einwohnern, in Hamburg 57, in Niedersachsen 52 und in Schleswig-Holstein 49. Damit liegen alle Bundesländer über dem Bundesschnitt, der auf 38 Privatinsolvenzen pro 100.000 Einwohner beziffert wird. Die wenigsten Insolvenzverfahren gibt es nach dieser Betrachtungsweise in Bayern.
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Oliver Schulz ist seit 2010 Rechtsanwalt und hat sich als Fachanwalt auf das Rechtsgebiet Insolvenzrecht spezialisiert. Mit seiner Kanzlei Schulz & Partner führt er seit 2012 die Schuldnerberatung Schulz, die in mehreren deutschen Städten ansässig ist und Schuldnern dabei hilft, ihre Schulden durch einen außergerichtlichen Vergleich, eine Regelinsolvenz oder eine Privatinsolvenz loszuwerden und finanziell neu durchzustarten. Er ist u.a. Mitglied im HAV (Hamburgischer Anwaltverein e.V.) und im Norddeutschen Insolvenzforum Hamburg e.V.. Als ausgewiesener Experte gibt er Interviews, z.B. bei RTL Direkt (zum Thema SchuldnerAtlas 2023). Außerdem ist er als Gastautor aktiv, z.B. auf Unternehmer.de.